«Im Klybeck wächst Verpackung von morgen»

Jonas Staub, Mosas Pilscheur, Cedric Mennet und Moritz Schiller Wirtschaft, Ressourcen, Abfall
Wirtschaft, Ressourcen, Abfall
  • Text: Pieter Poldervaart
  • Fotos: Roland Schmid und zVg (1, 8)

Kurzprofil

Mycrobez AG

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mycrobez.ch

Die Gründer der Mycrobez AG (v.l.n.r.): Jonas Staub, Mosas Pilscheur, Cedric Mennet und Moritz Schiller.

1/8 Die Gründer der Mycrobez AG (v.l.n.r.): Jonas Staub, Mosas Pilscheur, Cedric Mennet und Moritz Schiller.

«Im Klybeck wächst Verpackung von morgen»

Linus Müller, «Mycrobez»

Konsum bedeutet fast immer auch Verpackung. Um diese nachhaltiger zu machen, setzen die Tüftlerinnen und Tüftler des Jungunternehmens Mycrobez auf die phänomenalen Eigenschaften von Myzel, dem Wurzelgeflecht von Pilzen.

Jonas Staub, Mosas Pilscheur, Cedric Mennet und Moritz Schiller
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In einigen Räumen von Mycrobez auf dem zwischengenutzten Klybeck-Areal riecht es nach Erde und Wald. Diese natürlichen Düfte passen so gar nicht zu den Pharmazeutika, welche die Basler Chemischen hier einst produzierten. Heute belegt die vor fünf Jahren gegründete Mycrobez AG mit ihrer Entwicklungsabteilung ein ganzes Stockwerk in einem der frei gewordenen Forschungs- und Verwaltungsgebäude und experimentiert – mit Pilzen. «Als ich vor gut einem Jahr zur Firma stiess, wusste ich praktisch nichts über diese Organismen», räumt Linus Müller ein. Das änderte sich, als er im letzten Jahr seines Studiums der Kommunikationswissenschaften einen der drei Gründer von Mycrobez kennenlernte. Die Idee, aus Pilzen einen Werkstoff herzustellen, habe ihn sofort fasziniert: «Von Kindheit an interessiere ich mich für Nachhaltigkeit und Technik – Cleantech ist meine Leidenschaft.»

«Wir wollen nur organische Reste aus der Region verwerten»

Linus Müller

Myzelium

Pilze assoziieren wir gewöhnlich mit Herbst und dem dekorativen Fliegenpilz. Doch Müller und sein Team fokussieren auf das, was man nicht sieht: nicht auf den oberirdischen Fruchtkörper, sondern auf das feine Myzel, das sich in der Erde je nach Pilzart über Hektaren ausbreitet. So lässt sich der Hallimasch, der Goliath unter den Pilzen, als grösstes Lebewesen der Erde feiern. Ein Tausendsassa sind Pilze beziehungsweise ihre Myzele auch, was die Eigenschaften angeht: Mit dem passenden organischen Substrat funktioniert das Myzel als Leim und klebt die Partikel fest zusammen. Dieses Phänomen nutzt Mycrobez: Das heute 20-köpfige Team aus Maschinenbauern, Pilzwissenschaftlerinnen und Biochemikern experimentiert mit unterschiedlichen Myzelen und Substraten, um Materialien mit spezifischen Eigenschaften zu entwickeln.

Als Nährstoff eignet sich eine grosse Palette landwirtschaftlicher Abfälle, insbesondere Stroh und Spelzen.

Als Nährstoff eignet sich eine grosse Palette landwirtschaftlicher Abfälle, insbesondere Stroh und Spelzen.

Abfall plus Myzel gleich Werkstoff, so sieht die Gleichung vereinfacht aus. «Klar ist, dass wir nur organisches Material einsetzen, das andernfalls weggeworfen würde», erklärt Linus Müller. Das können Sägespäne sein, Reisstroh, Resten aus der Kaffeerösterei oder Pulpe aus der Kakaoproduktion. Je nach Weltgegend kommen auch gemahlene Hanfblüten, Traubentrester, ausgepresste Zuckerrohrstängel oder Presskuchen aus der Palmölproduktion in Frage – es soll in jedem Fall ein regionaler Rohstoff sein, um die Transportwege kurz zu halten. Dann wird das Substrat mit dem Myzel eines passenden Pilzes beimpft. Müller zeigt zwei Kühlschränke, in denen Dutzende keimfrei in Kunststoffbeutel verpackte Proben lagern, bei denen sich der Pilz sichtbar durch das Substrat frisst. Hat er den ganzen Inhalt durchwachsen, wird die Masse mit einem zweiten organischen Rohstoff gemischt. Das Myzel besiedelt auch diesen und lässt dank seiner klebrigen Eigenschaft einen festen Kuchen entstehen. Eine Thermisierung bei 90 Grad macht dem Myzel dann den Garaus. Das Endprodukt kann eine Isolierplatte sein, die ähnlich gut Kälte und Lärm dämmt wie eine aus Expandiertem Polystyrol (EPS). Giesst man die Masse flüssig in eine Form, entstehen Einwegschalen für den Versand von Elektronik oder anderen fragilen Güter.

Je nach Myzel und Substrat entsteht ein Naturschaumstoff, der unterschiedliche Eigenschaften punkto Farbe, Dichte und Isolationsfähigkeit aufweist.

Je nach Myzel und Substrat entsteht ein Naturschaumstoff, der unterschiedliche Eigenschaften punkto Farbe, Dichte und Isolationsfähigkeit aufweist.

Im Unterschied zu üblichen Baumaterialien und Verpackungen braucht die Herstellung des Mycrobez-Werkstoffs kein Erdöl. «Einmal in Betrieb genommen, erwarten wir, dass unser Prozess den Energie- und Wasserverbrauch sowie die CO2-Emissionen auf weniger als ein Zehntel der Werte konventioneller Verpackungen senkt», rechnet Müller vor. Anders als bei vielen anderen biobasierten Werkstoffen belegt Mycrobez keine Agrarflächen, weil man sich auf die Verwertung von Nebenprodukten beschränkt, die nicht einmal als Tierfutter taugen. Und nach Gebrauch können die so gewonnenen Produkte auf den Kompost gegeben werden und werten als Bodenrenaturierer Ackerböden auf.

«Naturschaumstoff auf Myzelbasis stärkt die Kreislaufwirtschaft und ist konkurrenzfähig.»

Der Prozess an sich ist schon lange bekannt. «Doch bisher gab es keine automatisierte Produktion. Entsprechend teuer sind die so erzeugten Produkte wie Akustikplatten oder Verpackungen für Luxusprodukte», sagt Müller. Mycrobez aber wolle die Massenproduktion erreichen, das heisst jene Unternehmen beliefern, die zehntausende von Kühlschränken stosssicher verpacken oder hunderte von Gebäuden wärmedämmen müssen. Dass dies funktioniert, soll schon Anfang 2025 ebenfalls auf dem Klybeck-Areal das Technikum beweisen, in dem ein erster Prototyp einer Produktionsanlage entsteht. Sämtliche Bestandteile für die 50 Quadratmeter grosse Anlage fertigt das Mycrobez-Team derzeit selbst an, unter anderem mit 3-D-Druckern. Der Prototyp dient dann als Demonstrationsobjekt, um Unternehmen in der Schweiz und weltweit davon zu überzeugen, das Verfahren in Lizenz zu übernehmen.

 

Selbst für Sitzmöbel ist der Naturschaumstoff stabil genug.

Selbst für Sitzmöbel ist der Naturschaumstoff stabil genug.

Noch finanziert sich Mycrobez mit Unterstützungsgeldern der öffentlichen Hand, durch den Migros-Pionierfonds, Privatinvestorinnen und durch Projektpartnerschaften mit der FHNW und mehreren anderen Fachhochschulen. Ein erster kommerzieller Umsatz ergibt sich, wenn aktuell je eine Firma aus sechs Branchen ein erstes Produkt aus Naturschaumstoff lanciert. Bereits im Verkauf ist ein Salontischchen, das das Start-up zusammen mit dem Basler Studio Colony aus festem Myzel-Komposit entwickelt hat. Unterstützung gab auch der im September 2024 verliehene Klima-Award Basel-Stadt, bei dem die Mycrobez AG den ersten Preis in der Kategorie Kreislaufwirtschaft gewonnen hat. Dass die Rechnung aufgeht, davon ist Linus Müller überzeugt: «Es gibt unendlich viele Ideen, um die Nachhaltigkeit vorwärtszubringen. Aber nur wenige sind auch wirtschaftlich attraktiv und lassen sich im grossen Massstab skalieren, sodass es in Sachen Klimaschutz einen relevanten Unterschied macht. Mycrobez ist eine davon.»

Publiziert im Oktober 2024

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