«Wir setzen die Kreislaufwirtschaft beim Bauen in Gang»

Manuel Herzog Wirtschaft, Ressourcen, Energie
Wirtschaft, Ressourcen, Energie
  • Text: Pieter Poldervaart
  • Fotos: Roland Schmid

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Portrait von Manuel Herzog, Geschäftsführer der Bauteilbörse, will beim Umgang mit Bauteilen ein Umdenken in Gang setzen.

1/7 Manuel Herzog, Geschäftsführer der Bauteilbörse, will beim Umgang mit Bauteilen ein Umdenken in Gang setzen.

«Wir setzen die Kreislaufwirtschaft beim Bauen in Gang»

Manuel Herzog, «Bauteilbörse Basel»

84 Prozent unseres Abfalls stammt aus dem Abbruch von Häusern. Das müsste nicht sein: Die Bauteilbörse Basel rettet intakte Lavabos und Fenster und platziert sie wieder in Neubauten. Gleichzeitig integrieren Manuel Herzog und sein Team stellenlose Menschen in den Arbeitsprozess.

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Manuel Herzog hat zwei rechte Hände: Nach der Lehre als Plattenleger hängte er eine Maurerausbildung an, arbeitete im Hochbau und wurde Vorarbeiter. Der 38-Jährige liebt es, handwerklich zu arbeiten, auch sein Eigenheim baut er derzeit selbst aus. «Doch der teilweise rüde Umgang auf der Baustelle hat mir immer mehr zu denken gegeben und ich hielt Ausschau nach einer Job-Alternative.» Über Umwege stiess er 2017 auf Overall, die Basler Genossenschaft für integriertes Arbeiten. Herzog übernahm die Leitung des Baubetriebs und kurze Zeit später auch die der Bauteilbörse. Die Institution war in den Nullerjahren von einem eigenständigen Verein gegründet worden und ist mittlerweile unter dem Dach von Overall. Ziel ist es, noch funktionstüchtige Küchen- und Bademöbel oder wiederverwendbare Parkettböden und Leuchten nicht einfach ins Recycling oder auf die Deponie zu fahren, sondern sorgfältig auszubauen, zu reinigen und zu prüfen, in einem Online-Inventar zu erfassen und wieder zu verkaufen.

«Planung ist enorm wichtig, um die Bauteile in den Kreislauf einzuspeisen.»

Manuel Herzog

Lagerraum voller genutzter Bauteile, die auf ihre Wiederverwendung warten.

Es braucht gute Planung, damit gebrauchte Bauteile zum richtigen Zeitpunkt wieder auf der Baustelle verfügbar sind.

«Mein Grossvater und Vater besassen ein kleines Baugeschäft, und sie waren der Ansicht, dass Wegwerfen eine Todsünde sei», erinnert sich Herzog. Auf dem Materialdepot hämmerte der kleine Manuel jeweils krumme Nägel wieder gerade, damit sie ein zweites Mal verwendet werden konnten. Heute überlässt er einem Team von zwölf Festangestellten die Aufgabe, gebrauchte Bauteile erneut in die Kreislaufwirtschaft einzuspeisen. Dabei geht es nicht mehr um krumme Nägel, sondern beispielsweise um 500 Quadratmeter Eichenparkett, die sein Team in der ehemaligen Oekolampad-Kirche ausgebaut hatte. Ein Dutzend Quadratmeter dient heute – abgeschliffen und aufgefrischt – als Täfer im Sitzungszimmer der Bauteilbörse. Etwa die Hälfte kaufte die Wibrandis-Stiftung zurück und verwendete sie wieder im renovierten Gemeindehaus Oekolampad. «Das Holz ist zwei Zentimeter dick und lässt sich noch mehrere Male abschleifen», erklärt Herzog. Hunderte von Arbeitsstunden stecken in Ausbau, Transport, Reinigung und Aufarbeitung. Dafür stehen der Bauteilbörse bis zu 35 Programmteilnehmerinnen und -teilnehmer zur Verfügung, die daneben auch Deutsch- oder Bewerbungskurse absolvieren. Abgesehen von der sozialen Betreuung ist die Planung der Arbeit eine grosse Herausforderung. Damit nur Produkte ausgebaut werden, für die tatsächlich Bedarf besteht, konsultieren Herzog und sein Team regelmässig die Online-Plattform useagain.ch: Hier platzieren auch andere Schweizer Bauteilbörsen ihr Angebot und die Kundschaft ihren Suchauftrag.

Eine Kaffeetasse, ein Schild, Post-its und Blätter.

Über 30 Programmteilnehmerinnen und -teilnehmer arbeiten in der Bauteilbörse, betreut von einem Dutzend Fachleuten.

Vor zehn Jahren war in der Bauteilbörse, die sich zuhinterst auf dem Dreispitzareal befindet, noch etwa ein Fünftel der Fläche mit Elektrogrossgeräten wie Tiefkühlern, Kochherden und Geschirrspülern zugestellt. Einzelne Apparate warten zwar auch heute auf Kaufwillige. «Doch moderne Geräte sind deutlich effizienter als alte», weiss Herzog. Deshalb konzentriert man sich inzwischen auf das Ausschlachten. Kistenweise stapeln sich Kunststoffschubladen aus Kühlschränken, Geschirrkörbe aus Spülern und Bleche oder Roste von Backöfen. So kann man ein Gerät mit defekten Teilen wieder komplettieren – und ein paar weitere Jahre in Gebrauch halten. Am häufigsten sind es Hauswarte und Handwerker, die an der Barcelona-Strasse ein bestimmtes Ersatzteil suchen. Schier unendlich ist auch die Formen- und Farbenvielfalt bei den Porzellanteilen und Armaturen fürs Badezimmer, die auf Holzregalen gestapelt sind. Gelegentlich landet auch Exquisites im Bauteillager: Aus dem kürzlich umgebauten Hotel «Drei Könige» warten die letzten von 30 Waschtischen auf Kundschaft; Kostenpunkt: 750 Franken.

 

999 Franken kostet dieser spezielle «Thron» – ein Blickfang für jedes Badezimmer.

999 Franken kostet dieser spezielle «Thron» – ein Blickfang für jedes Badezimmer.

Das Hauptproblem bleibt aber bestehen: Arbeit ist zu teuer, Material und Energie sind zu billig. Eine neue, im Ausland produzierte Toilettenschüssel ist für 250 Franken zu haben. Der Ausbau und die gründliche Reinigung eines gebrauchten Porzellanteils hingegen benötigen gut und gern zwei Stunden, was unter dem Strich 150 Franken bedeutet. «Wir geben das Secondhand-WC für 60 Franken ab, um attraktiv zu bleiben», erklärt Herzog. Möglich machen diese Quersubventionierung die Beiträge, welche die Institution für die Betreuung der Klientinnen und Klienten erhält.

«Unser Ziel ist, das Bewusstsein für gebrauchte Bauteile zu schärfen.»

Im Keller wartet palettweise Ware auf die Aufarbeitung.

Im Keller wartet palettweise Ware auf die Aufarbeitung.

Damit den Teams, die Altware auffrischen, die Arbeit nicht ausgeht, lagert im Keller palettweise Ware, die bereits rückgebaut wurde. Zwar geht es der Bauteilbörse durchaus um die Vermittlung von intakten Bauteilen. Denn laut Bundesstatistik entfallen 84 Prozent unseres Abfalls auf Bauschutt. Doch die Institution soll zusammen mit befreundeten Vereinen und Firmen, etwa dem Fachplaner Zirkular, auch Inspiration für die ganze Branche sein. Herzog will nichts weniger, als der Kreislaufwirtschaft auf dem Bau zum Durchbruch zu verhelfen. Dafür reiche es nicht, hier fünf Brandschutztüren und dort ein Dutzend Bodenplatten wieder in den Baukreislauf einzuschleusen, meint er. «Entscheidend ist, dass die Wirtschaft selbst daran geht, die eigenen Bauteile nicht als Abfall, sondern als langfristig nutzbares Kapital zu verstehen.» Wie das geht, zeigt Herzog aktuell mit seiner Beratung der Roche: Ziel ist, eine Liegenschaft des Pharmakonzerns möglichst abfallfrei rückzubauen. Ob die Bauteilbörse selbst gewisse Dinge aus diesem Objekt ausbauen wird, sei nicht matchentscheidend, unterstreicht Herzog: «Wichtig ist, dass es eine Bewusstseinsänderung gibt und beim Rück- und Neubau oder einer Sanierung immer mitgedacht wird, die nicht mehr benötigten Bauteile wieder einer Nutzung zuzuführen.»

 

Publiziert im Juli 2024

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